Zum Glück aller Beteiligten hat dies schon länger niemand mehr zu mir gesagt, da es mir aus unerfindlichen Gründen gerade aber wieder durch den Kopf ging, maule ich eben an dieser Stelle pauschal alle an, die so eine Unverschämtheit zu anderen oder gar zu mir sagen.
Der Kontext ist meist das Zugeben, dass man gerne Comics, Sci-Fi und Fantasy liest (an dieser Stelle möge der geneigte Leser nicht vornüber fallen, sondern das ‚und‘ auch gerne durch ein ‚oder‘ ersetzen)
Diese Aufforderung erfolgt oft von Leuten, die zwar lesen, aber dann gerne mal Auto/Biographien lesen und oder Selbsthilfebücher, vielleicht historische Romane wegen der realistischen Darstellung [insert skeptisches Husten here] dieser Epochen und – wenn sie sich mutig fühlen – im Urlaub mal vorsichtig in „zeitgenössische Literatur“ rein schnuppern.
Diesen und ähnlichen Leuten sei an dieser Stelle mit meiner charmant subtilen Art folgendes gesagt:
Haltet die Fresse
Es ist schön für Euch, dass Ihr Eure Bildung und Euer Wissen aus biographischen und wohl temperierten recherchierten Büchern bezieht, meinereiner macht das anders. Ja, auch ich lese „zeitgenössische Romane“, ich habe auch schon biographische Werke gelesen und ich werde trotzdem weiterhin auch Sci-Fi und Fantasy lesen.
Was Ihr in Eurer ablehnenden Ignoranz nicht wahrnehmt, oder wahrnehmen wollt, ist dass gerade alte Sci-Fi Bücher ein gangbarer Weg waren die jeweiligen Gesellschafts- und Regierungsstrukturen zu hinterfragen und mehr oder minder offen zu kritisieren. Jedes dieser Bücher kann man lesen und – wenn man den willens ist – daraus Denkanstösse ziehen! Sei es zu der Problematik der fortschreitenden Technik und ihrer Auswirkungen auf die Machtstrukturen ihrer Gesellschaft, zur Globalisierung und der damit einher gehenden weiteren Aufsplittung zwischen arm und reich, zur Genderfragen, zur Auflösung und Neubildung gesellschaftlicher Strukturen. Es gibt eigentlich kein sozialwissenschaftliches Thema, das nicht in einigen Büchern sowohl aus Sci-Fi als auch Fantasy abgearbeitet werden würde.
Und ja, es kommt darauf an wie man diese Bücher liest. Natürlich kann ich eine Vorkosigan Saga einfach zur Unterhaltung lesen, ich kann aber auch die ethisch-moralischen Hintergründe zum Klonen, DNA Manipulation, Transsexualität und traditioneller Geschlechterrollen dabei wahr nehmen und mich fragen wie sehr das die Ist-Gesellschaft widerspiegelt und welche Hoffnung die Autorin dabei in die zukünftige Entwicklung setzt.
Jede Alien Invasion kann als Unterhaltung betrachtet werden, wer sich die Mühe macht die Rassen auf eine Menschengruppierung zu projizieren, erfährt aber vielleicht viel über das Empfinden der politischen Situation des Autors dieser Zeit.
Und Fantasy? Ja natürlich kann man Fantasy abhandeln unter „Drachen, Zwerge, baumknutschende Elfen und jammernde Hobbits“ Muss man aber nicht, man kann sogar Harry Potter lesen und sich fragen was die gute Frau sich bei der Darstellung der Hauselfen eigentlich gedacht hat, und sich unangenehm an Herrenrassen erinnert fühlen wenn sie von ihren „pure bloods“ spricht. Man kann Goodkind’s Bücher lesen und sieht die Angst der Gesellschaft vor Dingen, die sie nicht versteht, und wie mit dieser Angst umgegangen wird.
Und geht doch mal Transmetropolitan lesen und denkt dann noch mal über die Menschheit nach. Und habt Ihr Euch mal gefragt warum damals die ganzen Superhelden so nötig waren?
Also kommt mir nicht mit so herablassenden Aufforderungen, oder dem Gerede von Eskapismus. Was ich an Wissen und Ideen, und – ja auch – Welten aus diesem „komischen Genre“ schon gesammelt habe, taugt für mich besser zur Selbsthilfe als „wie werde ich glücklich in 20 Tagen“ oder „die letzten Tage von Gustav Mahler“
Disclaimer: diese Gemaule richtet sich an Leute die diesen Genres nie eine ernsthafte Chance gegeben haben