So, nun bin ich seit einigen Tagen 45. Das ist schon immer noch merkwürdig, je älter ich werde, desto mehr habe ich das Gefühl, dass ich etwas nicht mitbekommen habe. Bin ich jahrelang in Buchläden an dem „Adulting for beginners“ vorbei gelaufen? Einerseits habe ich dieses Gefühl von Leistungsdruck weil ich das Erwachsensein immer noch nicht beherrsche, anderseits gibts da auch den Verdacht, dass wir das alle nicht blicken und uns irgendwie durch winden und hoffen dass es nicht auffällt.
Die Einen bekommen ihr 2,5. Kind, die Anderen sind bereits in der Scheidung, ich dagegen habe immer noch keinen wirklichen Plan, traue mir nicht mal zu für eine Katze zu sorgen und lebe seit einigen Monaten nicht mehr in einer WG. Manche haben bereits Ahnung wie sie ihr Rentnerdasein bestreiten, ich weiss noch nicht mal wie ich meinen Job in 10 Jahren bewerkstelligen soll, geschweige denn welchen.
Aber gut, gehen wir mal zu meiner Begünstigung davon aus, dass wirklich kein Mensch so genau weiss, wie erwachsen geht.
Also, 45, irgendwie so ein bisschen Halbzeit. Ich habe vorzuweisen:
- Brustkrebserkrankung
- 2 Bandscheibenvorfälle
- miterleben einer Pandemie
- Die Superfähigkeit nicht mit Geld umgehen zu können
- seit etwa 1 Jahr Konsultine (oder was auch immer die weibliche Form von Consultant ist)
- 8 oder 9 Umzüge
- keine Ehe
- keine Kinder
- keine Katze(n)
- Schulden
- 1 Berufsausbildung, die ich nicht ausübe
- massenhaft aus verschiedensten Gründe kaputt gespielte Beziehungen
- ca 25 Jahre rauchen
- ein Rudergerät
- 9 Jobs in „irgendwas mit IT“
- ein höhenverstellbarer Schreibtisch
Ok, ich bin insgesamt bestimmt ruhiger geworden, ausser bei Nazis, da platzt mir immer noch instantan der Hals und ich bin ein bisschen verblüfft, dass ich hier in B noch nicht in eine Schlägerei verwickelt wurde, da ich ja auch hochgradig naiv und noch hochgradiger wütend besoffene Nazis im Bus anbrülle.
Und ich habe ein paar Coachingsessions gemacht! Das war eine herausragend gute Idee von mir! Und ich habe einen Job hingeschmissen, was ich schon früher hätte machen sollen und bewege mich jetzt als programmierende Konsultine durch die Gegend. Prinzipiell eine gute Entscheidung, aber ändert nichts an den kleinen bis grossen unregelmässigen Panikattacken, dass ich diesem Job einfach nicht gewachsen bin. Weiss zu wenig, kann zu wenig, und morgen wird es wer merken, und dann bin ich echt aufgeschmissen.
Vielleicht ist dieses erwachsen werden auch eine durchgehende Therapie. Fortschritte habe ich bestimmt gemacht, aber das diffuse Gefühl von „nicht genug“ geht einfach nicht weg. Es gibt Dinge, an die kann ich mich nicht gewöhnen. Daran, dass mein Körper nicht so funktioniert, wie ich es gerne hätte, dass ich jetzt aufpassen muss was ich hebe, wie ich es hebe und das einzig gute daran ist der lebenslang gültige Entschuldigungsbrief für Umzugshilfe. Ich kann mich nicht daran gewöhnen jetzt über 40 zu sein und immer noch überrascht zu denken „wtf, wann ist das passiert? muss ich jetzt erwachsen sein können? wie geht das? gibt’s einen Crashkurs?“
Also insgesamt würde ich sagen, ich bin immer noch dabei mich weiter zu entwickeln, nur nicht zwangsläufig überall zum besseren. Aber vielleicht ist das dieses altern, erwachsen werden? Vielleicht mache ich mir da zuviel Stress? Das kann ich ja insgesamt recht gut. Ist erwachsen werden einfach nur Entropie? Ab wann ist man erwachsen und fühlt sich so? Wenn man nein zum x-ten Drink sagt? Wenn man einen Job macht, weil es nötig ist? Wenn man nicht Leuten in die Fresse haut, obwohl der Wunsch sehr gross ist? Wenn man nein sagt zu einem Stück Merchandise? Wenn man vor körperlichen Einschränkungen einknickt und sich einen verdammten höhenverstellbaren Steh-Schreibtisch kaufte? Wenn man sich trotz Sportallergie ein Rudergerät kauft?
Ist es ausreichend zu sagen ich bin 45, ich hab mein Leben so mittelmässig im Griff und habe immerhin eine mittlerweile saubere Akte bei der Polizei, und meine Schufa-Einstufung ist so la la? Reicht es aus, dass es wenige Entscheidungen gibt, die ich krass bedauere und dass ich mich als Mensch sicherlich verbessert habe? Ich glaube es muss als Bilanz ausreichen, dass ich sagen kann, ich mag mich mittlerweile mehr als früher und ich habe ein paar Sachen richtig gemacht.